Bischof Erwin Kräutler:

Zum Karfreitag 2008

Herr, vernimm mein Beten,
achte auf mein lautes Flehen!
Am Tag meiner Not rufe ich zu dir;
denn du wirst mich erhören.
(Ps 86,6-7)

Dom Erwin Kräutler bittet mit dem Volk Gottes am Xingu um Ihr Gebet.

Weltweit gedenken Christinnen und Christen in der Karwoche des Leidens und des Todes Jesu Christi. Auch in der Prälatur am Xingu (Brasilien) ziehen Tausende Menschen bei Kreuzwegprozessionen durch die Straßen der Städte und Dörfer und kommen zur Karfreitagsliturgie in die Kirchen. Das Herz voll Trauer und demütig knien sie vor dem Bildnis des leidenden Herrn und beten um Kraft und Beistand für das Kreuz, das sie in ihrem Alltag erdulden müssen. Niedergedrückt werden sie vom Kreuz der Armut, des Elends, der Missachtung und Erniedrigung, vom Kreuz der Lügen, der leeren Versprechen, der Einschüchterung und Verfolgung, vom Kreuz der Ausbeutung und Misshandlung, der Ungerechtigkeit und Rechtlosigkeit, vom Kreuz des gewaltsamen Todes vor der Zeit.

Unerschütterlich stellt sich Dom Erwin Kräutler, Bischof vom Xingu, als fürsorglicher Hirte an die Seite aller Bedrängten, Gequälten und Leidenden. Tief verwurzelt im Glauben an Gott und gestärkt durch Gebet und Meditation schreit er in die Welt hinaus und gibt jenen eine Stimme, die nie gehört werden.

Seinem Protest lässt er Taten folgen. Er dokumentiert Missstände, führt Gespräche, schreibt Briefe, beauftragt Anwälte, damit Menschen- und Verfassungsrechte für alle Gültigkeit haben, damit den Angriffen auf Leben und Mitwelt Einhalt geboten wird und die Straffreiheit der Verbrecher, die im Bundesstaat Pará besonders empörend ist, ein Ende findet.
Dieser kompromisslose Einsatz hat Folgen, weil sich einflussreiche regionale Politiker, Großgrundbesitzer, Landspekulanten, Energieunternehmen, Holzhändler und Geschäftsleute in die Enge getrieben fühlen und ihre Interessen gefährdet sehen.

Seit dem Tag der Beerdigung von Schwester Dorothy Stang, die mit landlosen Kleinbauern auf eine gerechte Landverteilung drängte und deshalb ermordet wurde, appelliert Dom Erwin an die zuständigen Behörden, das Verbrechen lückenlos aufzuklären und auch die Drahtzieher zur Rechenschaft zu ziehen.
Die verfassungsgemäße Regelung und Anerkennung indigener Gebiete ist ein Anliegen, das Erwin Kräutler als Bischof vom Xingu und als Präsident des Indianermissionsrates – CIMI bei jeder sich bietenden Gelegenheit verteidigt.

Wie ein Rufer in der Wüste mahnt der Bischof zur Bewahrung der Schöpfung und verurteilt die skrupellose Zerstörung Amazoniens. Seine Gegner stellen sich taub, plündern in unermesslicher Gier vor allem Edelhölzer und Bodenschätze. Es kümmert sie nicht, ob die Flüsse verseucht sind und indigene Gebiete in den Fluten der Stauseen für Wasserkraftwerke versinken. Tausende und Abertausende Hektar Tropenwald und seine Artenvielfalt verwandeln sie in ein Flammenmeer, um Amazonien noch mehr Viehweiden und Ackerland für Soja- und Zuckerrohrplantagen abzutrotzen. Wer dieses rücksichtslose Streben nach noch mehr Gewinn anprangert, ist ihr erklärter Feind und sie reagieren hinterhältig wenn ihre Machenschaften aufgedeckt werden.

Die anfänglichen Diffamierungen und Verleumdungen der Widersacher des Bischofs erweisen sich schnell als haltlos. Auf die Beschimpfungen folgen unmissverständliche Morddrohungen. Auf Anordnung des Bundesjustizministeriums sowie der Justiz- und Polizeibehörden des Bundesstaates Pará wird Dom Erwin zunächst vorübergehend, seit Oktober 2006 aber ständigem Polizeischutz unterstellt. Zwei Militärpolizisten versehen jeweils 24 Stunden lang ihren Dienst, sitzen mit dem Bischof zu Tisch, halten vor seiner Schlafzimmertür Wache und weichen auch nicht bei Versammlungen, Krankenbesuchen und Eucharistiefeiern von seiner Seite.

Ende 2007 und in den ersten Wochen das Jahres 2008 scheint es, als hätten sich die Gegner des Bischofs zurückgezogen. Doch dieser Eindruck trügt.
Dem regionalen Geheimdienst wird der Bericht eines Militärpolizisten übermittelt, der Ohrenzeuge eines Gespräches war. Zwei Männer verhandelten über die Prämie für die Ermordung des Bischofs in Altamira. Die Rede war von einer Million Reais (umgerechnet etwa € 390.000) und von zwei Männern, die vor Ort die Lage erkunden würden. Man wisse von den zwei Sicherheitskräften beim Bischof. Trotzdem sei es leicht, bis zu ihm vorzudringen. Eventuell könnte man Nachforschungen anstellen, ob die zwei Polizisten käuflich seien.

Als letztes Aufgebot bietet ein vermutliches Konsortium ein verlockend hohes Kopfgeld, um Dom Erwin endgültig zum Schweigen zu bringen. In den Augen seiner Feinde ist der Bischof verantwortlich, dass die Bundesjustiz eine Enteignung ohne Entschädigung und Räumung von acht Fazendas innerhalb eines Naturschutzgebietes erlassen hat. Sie unterstellen dem Bischof auch ein Mitwirken bei der Vorbereitung der Operation “Arco de Fogo” (Feuerbogen), die Ende Februar von Streitkräften, Bundespolizisten und Inspektoren der Umweltbehörde – IBAMA im Bundesstaat Pará begonnen wurde und in den kommenden Wochen auch im Einzugsbereich der Prälatur durchgeführt wird.

“Bleibt in mir, dann habt ihr Frieden. In der Welt seid ihr in Bedrängnis, aber habt Mut, ich habe die Welt besiegt.” (Joh 16,33) Im Vertrauen auf dieses Wort Jesu, aus Liebe zu den ausgegrenzten, missachteten und entwürdigten Schwestern und Brüdern am Xingu und aus Sorge um die geschundene, skrupellos ausgebeutete Mitwelt lässt sich Dom Erwin wider alle Nachstellungen und Drohungen nicht von seinem Einsatz abbringen. Das Evangelium verkünden heißt, die Auferstehung Christi verkünden, das Ja Gottes zum Leben, den Sieg der Liebe über Hass und Gewalt, über Ungerechtigkeit, Verfolgung und Verletzung der Menschenwürde, den Triumph des Friedens als “Werk der Gerechtigkeit” (Jes 32,17).

Altamira, 21. März 2008
Karfreitag des Leidens und Todes unseres Herrn
Pressestelle der Prälatur am Xingu
www.domerwin.com