Was will die Kirche Brasiliens mit dieser Aktion erreichen?

Wir beschränken uns nicht auf die Umweltproblematik. Das Wort Ökologie stammt aus dem Griechischen und „olkoç” meint nichts anderes als „Heim”. In einem Heim wohnen immer Menschen, sonst ist es keine Heim, bestenfalls ein Unterstand, um sich vor dem Regen zu schützen. Wir wollen uns also auf die Menschen in ihrer Mit–Welt besinnen, die Indianervölker, die Flussbewohner, die Kleinbauern, aber auch die Familien, die in den letzten dreißig, vierzig Jahren zu Tausenden aus dem Nordosten, Süden, Südosten und Zentralbrasilien zugewandert sind und hier eine Heimat gefunden haben. Die Kirche will dabei auch heiße Eisen anpacken: die immer noch ausstehende Agrarreform, die Gewalttätigkeit der Großgrundbesitzer und deren Helfershelfer, die Brandrodung, die Sklavenarbeit, der Drogenhandel, der sexuelle Missbrauch Minderjähriger, die Ausbeutung der Frau und der Frauenhandel. Die Probleme der Bauern ohne Land, der obdachlosen Familien, der Vertriebenen, der Armen und Verelendeten sind auch Probleme der Kirche, denn gerade diese Menschen sind das Volk Gottes, die Kirche an der Basis.

Die Kirche Brasiliens, besonders im Süden und Südwesten des Landes, soll aber auch auf ihre Verantwortung für die Schwesterkirchen in Amazonien aufmerksam gemacht werden. Personell und finanziell besser situierte Diözesen sollen armen Diözesen zu Hilfe kommen.
Die Geschichte Amazoniens deckt sich nicht unbedingt mit der Geschichte Brasiliens. Am 7. September 1822 erklärte Brasilien seine Unabhängigkeit gegenüber Portugal. Grão–Pará, das heutige Amazonien, blieb aber weiterhin Kolonie von Portugal. Erst am 15. August 1823 entschied sich Amazonien für die Unabhängigkeit und wurde Teil Brasiliens.
Kirchlich gesehen wurde Amazonien nach der Pionierarbeit der Jesuiten, Franziskaner, Karmeliter und Merzedarier zwischen den verschiedenen Orden und Kongregationen aufgeteilt. Santarém „gehörte” den Franziskanern, Conceição do Araguaia den Dominikanern, Marajó, die größte Insel der Welt, den Augustinern. Später kamen die Salesianer, die den Oberen Rio Negro und Humaitá als ihr Missionsfeld vom Heiligen Stuhl zugesprochen erhielten. Die Xaverianerpatres übernahmen Abaetetuba, die Barnabiten Bragança.

Den Xingu wollte niemand. Er war berühmt–berüchtigt wegen der Tropenkrankheiten und der übergriffe der „wilden” Indianer auf die kleinen Siedlungen der Gummizapfer. In Wirklichkeit verteidigten die Indios ihre Heimat gegen unerwünschte Eindringlinge. Gerade weil dieses Gebiet niemand wollte, hat es die Kongregation der Missionare vom Kostbaren Blut übernommen. Die Spiritualität der Gemeinschaft und der Wunsch ihres Gründers Kaspar del Bufalo, den Missionsauftrag Jesu bis zu den letzten Konsequenzen durchzustehen, das Leben einzusetzen, wenn nötig bis zum letzten Tropfen Blut, bewog die Gemeinschaft, am Xingu tätig zu werden. Tatsächlich starben begeisterte Missionare wenige Jahre nach ihrer Ankunft, andere hielten die Strapazen nicht aus und kehrten nach Europa zurück, doch die Gemeinschaft blieb vor Ort, bis zum heutigen Tag.
Die Seelsorge war also Ordensgemeinschaften und Kongregationen anvertraut, die im Ausland ihre Zentrale hatten und von dort aus die Geschicke der Mission lenkten. So stammte bis vor wenigen Jahren 95% des in Amazonien wirkenden Klerus aus Europa oder Nordamerika. Schon Ende der 60er und anfangs der 70er Jahre begann der Nachschub zu stocken. Es ist die Zeit, in der die Militärregierung Brasiliens den Bau der Transamazônica beschloss, einer 3000 km langen Straße quer durch Amazonien von Osten nach Westen. In Zusammenhang mit dem Bau dieser Riesenstraße kamen tausende von Familien zunächst aus dem Nordosten und dann vom Süden, Südwesten nach Amazonien. Diese Völkerwanderung innerhalb Brasiliens ist bis heute im Gange. In gewissem Maße handelt es sich um eine sehr extravagante Weise, die Agrarreform in den Staaten durchzuführen, aus denen die Leute stammen. Auf sanfte Art wird der „überschuss” an Familien in den Norden Brasiliens abgeschoben, für die aufgrund der immer mehr Fuß fassenden Agroindustrie kein Land mehr vorhanden ist, oder sie werden von der Regierung mit vielen Versprechen „eingeladen”, nach Amazonien auszuwandern. Damit werden eventuelle Agrarkonflikte in den Herkunftsstaaten im Keim erstickt. Die Landprobleme aber bleiben ungelöst. Die Regierungen verlagern sie einfach in den Norden.

Millionen Menschen sind in den vergangenen Jahrzehnten nach Amazonien gekommen, leider ohne die Begleitung ihrer Kirche durch Priester und Ordensleute. Die Ortskirchen, Diözesen und Prälaturen im Norden des Landes waren und sind total überfordert. Auch auf diese innerkirchliche Problematik will die Kampagne der Geschwisterlichkeit in ganz Brasilien gezielt aufmerksam machen. Als im 19. Jahrhundert Familien aus Deutschland, Italien und Polen in die südlichen Regionen Brasiliens einwanderten, waren sie alle begleitet von ihren Priestern, die Lutheraner von ihren Pastoren. In Paraná, Santa Catarina und Rio Grande do Sul gibt es deshalb heute Ortskirchen mit Strukturen, die fast europäisch anmuten. Die kirchliche Sorge um die europäischen Familien, die im 19. Jahrhundert ihre Heimat verließen, hat sich in der Migration innerhalb Brasiliens nicht wiederholt. Eine innerkirchliche Solidarität und Mitverantwortung für Amazonien muss sich also in ganz Brasilien entfalten. Es ist absurd, dass im Süden beinahe von einem überschuss an Priestern und Ordensleuten gesprochen werden kann, während im Norden in einem Bistum wie das am Xingu mit mehr als einer halben Million Menschen auf 800 Gemeinden, in einem Gebiet von 365.000 km² verteilt, nur 26 Priester zur Verfügung stehen. Es nützt nichts, über den Zuwachs der Sekten zu jammern, wenn man dabei die ungerechte Verteilung der Priester und Ordensleute vergisst oder außer Acht lässt. Gott sei Dank, engagieren sich in Amazonien die Laien, Frauen, Männer, Jugendliche, sogar Kinder, viel mehr als anderswo und übernehmen ehrenamtlich Verantwortung für ihre Gemeinden. Die Basisgemeinden sind gerade in Amazonien nach wie vor der Ort an dem die Kirche tatsächlich lebt. Aber die Eucharistiefeier ist nun einmal das Zentrum einer christlichen Gemeinde. Das II. Vatikanische Konzil spricht von der Eucharistie als „Quelle und Höhepunkt jeder Evangelisierung” (PO 5) und erklärt weiter: „Die christliche Gemeinschaft wird nur auferbaut, wenn sie Wurzel und Angelpunkt in der Feier der Eucharistie hat” (PO 6). Puebla fügt diesem Text hinzu: „Deshalb kann behauptet werden: die Kirche gibt es dort, wo es Eucharistie gibt” (DP 662). Erst die Eucharistie macht eine Gemeinde zu einer „christlichen” Gemeinde. In der Enzyklika „Dies Domini” vom 31. Mai 1998, hat Papst Johannes Paul II einen vehementen Appell an alle Ortskirchen gerichtet: „Es müssen daher auf seelsorglicher Ebene alle notwendigen Maßnahmen ergriffen werden, damit die Gläubigen, die üblicherweise auf die Eucharistie verzichten müssen, sie so oft wie möglich empfangen können: sei es, dass man für die regelmäßige Anwesenheit des Priesters sorgt, sei es, dass man sämtliche Möglichkeiten nutzt, um die Versammlung der Gläubigen an einem zentral gelegenen Ort zu veranstalten, der für verschiedene, auch weit entfernt lebende Gruppen erreichbar ist” (n. 53). Wie können und sollen wir heute diese „Maßnahmen” in Amazonien ergreifen und insbesondere in den Großstädten dieser Region? Ich träume von einer Art „Fidei Donum” – Priester: Diözesanpriester werden von ihren Bischöfen und Ortskirchen für den Dienst in Amazonien für einige Jahre freigestellt und ausgesandt. Die Heimatdiözese übernimmt dabei auch die finanzielle Verantwortung, denn das ist ein weiteres Problem, bei dem auch geschwisterliches Teilen gefragt ist.